09. März 2021

Reportage aus dem Kantonsspital Graubünden

Dr. Ahoi und ein Teenager im Kantonsspital Graubünden

Ein Nachmittag voller Improvisation

Seit 25 Jahren besuchen die Traumdoktoren allwöchentlich das Kantonsspital Graubünden oberhalb von Chur. Auch nach einem Vierteljahrhundert bleibt jeder Besuch einmalig, indem sich die Künstler stets nach den aktuellen Bedürfnissen der kleinen Patienten richten. Anfang Januar verbringen wir – selbstverständlich gemäss allen Corona-Hygieneregeln – einen Nachmittag mit Dr. Ahoi und lernen das Metier der Improvisationskunst kennen. Stimmengemurmel, Schritte von hier nach da, Türen gehen auf und wieder zu. Am Ende des Spitalgangs öffnen grosse Glasfenster den Blick auf rauchende Schornsteine und von dickem Nebel umhüllte Berge. Immer wieder sucht die Sonne ihren Weg hindurch. Just als ein Sonnenstrahl ins Tal blinzelt, ertönen dezente Klänge. «Hey ciao! Ist schon wieder Dienstag? » Freudig empfängt Stationsleiterin Franziska Bernold den musizierenden Gast. Mit Kapitänsmütze, Seemannsshirt und farbigem Kittel steht er da, wie er seit 20 Jahren jede Woche für die kleinen Patienten dasteht: Doktor Ahoi. Es ist ein freudiges Wiedersehen. «Für uns bedeuten die Besuche der Traumdoktoren eine willkommene Auflockerung. Und für die Patienten sind es wertvolle Momente der Abwechslung, in denen sie sich ganz hingeben und alles um sie herum vergessen können», schwärmt Bernold.

Sanfter Rhythmus für die Kleinsten

Seine Besuchstour startet Dr. Ahoi bei den Kleinsten in der Neonatologie. Hier liegen die Frühchen. Eingemummelt in weiche Decken, mit Sternenpflaster auf dem Rücken und weissen Käppchen auf dem Kopf. Rundherum piepst und blinkt es. Behutsam nähert sich der Traumdoktor einem der Brutkästen. Während er sich staunend über das winzige Menschlein beugt, erschallen leise Töne aus seiner Ukulele. Zur Melodie kommt erst ein gedämpftes Summen, dann eine feine Stimme hinzu. «Auf der Neonatologie passe ich Rhythmus und Lautstärke den Babies an. Ich versuche in erster Linie, die Stimmung aufzuhellen, damit sie sich entspannen», flüstert der Künstler. Und siehe da: Nach einiger Zeit verändert sich die Bildschirmanzeige neben dem Brutkasten – der Herzschlag hat sich verlangsamt.

Glück bringende Zauberkugeln

Ein Stockwerk höher klopft Ahoi sachte an die Tür des neun Monate alten Fadris. «Darf ich reinkommen?» Bejahendes Nicken. Gleichzeitig schauen dem Traumdoktor ein Paar schüchterne Augen entgegen. «Wenn ich bei einem Kind eine leichte Skepsis bemerke, bin ich zurückhaltend. Es geht erst einmal darum, das Vertrauen zu gewinnen», erklärt Ahoi und bleibt bei der Zimmertür stehen. Er stimmt ein paar feine Töne an und beobachtet aufmerksam, wie Fadri reagiert. Tatsächlich wechselt der Gesichtsausdruck des kleinen Jungen schnell zu neugierig – erst recht, als der besondere Doktor glänzende Kugeln durch die Luft wirbelt. «Ich bringe euch ganz viel Glück mit. Hier in den Seifenblasen steckt es. Seht ihr es?» Staunend streckt Fadri seine Hände aus. Seine Mutter lächelt. Zack! Die Seifenblase zerplatzt wie von Zauberhand. Fragend und etwas perplex schaut Fadri zu Ahoi hoch, der bereits weitere Kugeln heraufbeschwört. Dafür benutzt der Künstler eine neue Technik: Schwenken statt Pusten. Die aktualisierten Gesundheitsbestimmungen haben auch die Traumdoktor-Besuche verändert. Dr. Ahoi klebt seine rote Nase jetzt immer auf eine Maske, teilt keine Gegenstände mit den Kindern, desinfiziert vor und nach den Besuchen alles gründlich. Diese und weitere Präventionsmassnahmen haben es den Spitälern erleichtert, die Traumdoktoren-Besuche beizubehalten.
«Die Traumdoktor-Besuche stehen auf dem gleichen Niveau wie andere paramedizinische Dienste.»
Tom Riedel, Chefarzt und Departementsleiter Kinder- und Jugendmedizin am Kantonsspital Graubünden
«Wir sind sehr froh, dass wir besonders auch in dieser schwierigen Zeit auf die Traumdoktoren zählen dürfen», bestätigt Doktor Tom Riedel, Chefarzt und Departementsleiter Kinder- und Jugendmedizin am Kantonsspital Graubünden. «Wir sind der Ansicht, dass ihre Besuche auf dem gleichen Niveau wie andere paramedizinische Dienste stehen und erachten es deshalb als enorm wichtig, dass wir sie aufrechterhalten können.»

Fadris Seifenblasentanz

Fadri bekommt von all diesen Überlegungen nichts mit. Er lässt die Seifenblasen jetzt mit den Händen, den Füssen und dem Kopf zerplatzen. Dabei spritzt es; was Fadri anfänglich zu irritieren scheint, ihn dann jedoch aufjauchzen lässt. Als er beginnt, mit den Füssen zu wippen, nimmt Dr. Ahoi den Takt auf. Die Stimmung im Zimmer wird entspannter, leichter, unbeschwerter. Es ergibt sich ein immer ausgelasseneres Spiel aus Seifenblasen, Musik und Tanz, an dessen Ende alle klatschen. Fadri strahlt. «Danke für die wertvolle Zeit, die Sie uns geschenkt haben», verabschiedet Fadris Mutter den Traumdoktor, der langsam die Türe hinter sich zuzieht.

Influencer-Tipps von Leonidas

«Du bist ja ein Grosser! Endlich! Die Kleineren, die ich bis jetzt besucht habe, konnte ich nicht so Sachen fragen», begrüsst Dr. Ahoi den zwölfjährigen Leonidas. Der Teenager mit den wachen Augen ist sichtlich geschmeichelt. Über seinem Kopf prangt das Schild «Bettruhe». Auf dem Nachttisch liegt «Der Graf von Montecristo». Dr. Ahoi bittet den belesenen Jugendlichen um Rat: «Ich möchte berühmt werden. So ein… äh… Influanza?» – «Influencer?» – «Ja genau, Influencer! Wie mache ich das?» Der Traumdoktor erfährt, dass Musik ihm zu einer guten Klickrate verhelfen könnte. Das Lied von Pippi Langstrumpf geht für Leonidas jedoch nicht als gelungener deutscher Hip-Hop durch. Härter muss es sein. «Yo, yo, yo. Ich bin der Doktor Ahoi! Leonidas ist mein Influencer! Yo, yo. Ye, ye.» Ahoi greift kräftig in die Saiten. Trotzdem sollte er noch ein bisschen weiterüben, meint Leonidas. Der Traumdoktor nimmt’s gelassen. Und möchte unbedingt noch ein Selfie mit dem coolen YouTuber Leonidas machen. «Klick» – der einmalige Moment ist festgehalten.
  • Seit 1996 besucht die Stiftung Theodora wöchentlich kleine Patienten im Kantonsspital Graubünden.
  • Während mehr als 7’000 Stunden besuchten die Traumdoktoren hier Kinder und ihre Angehörigen.
  • Dr. Ahoi schenkt seit 20 Jahren Kinderlachen.
Text: Patrizia Brosi Fotos: Riccardo Götz

Im Gespräch mit Prof. Dr. Rudin

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